Herbst auf dem Absatz

Der Ultra der US Lecce hat sich versprayt. So ein Pech. Aber er hat auch Mut bewiesen. Man tut den Seinen ja nicht gerade einen Gefallen, wenn man als Ultra den Ultra falsch schreibt. Noch weniger szenekonform aber dürfte es sein, die ganze Sache korrigiert stehen zu lassen. “Herren über Süditalien und die ganze Nation, Utra’, pardon, Ultra’ Lecce”. Irgendwie auch sehr menschlich. Berührend. Wo doch sonst alles immer so sackbrutal zu und her geht im italienischen Ultratum.

Ich konnte im Meer dahinter auf alle Fälle meine Runden schwimmen ohne überfallen zu werden. Auch wenn ich mich in falscher Sicherheit wähnte. Sagt zumindest Alessio. “Uh, mein Sohn, es gibt viel Malavita hier, sehr viel”, korrigiert er mich. Alessio führt eine Bar mitten im Fischerdorf Gallipoli, das während den Sommermonaten zur Fremdenverkehrsmetropole explodiert. Wir waren ins Gespräch gekommen wegen den Dire Straits. Sie liefen in seiner Bar, als ich meinen vierundreissigsten Kaffee an diesem Tag trinkte. Trunk. Ein Lied nach dem andern. Ich wurde plötzlich ein wenig sentimental. Und dann ein wenig fest. Scusi, sind Sie Dire-Straits-Fan? So kamen wir ins Gespräch. So haben wir uns gefunden. Plötzlich schämte ich mich für gar nichts mehr und ich werde es auch meiner Lebtag nie mehr tun. Zuhause holte ich sofort Communique aus der Kiste, die zweite LP. Where do you think we’re going. Was brauche ich Santana, wenn es Lieder gibt wie dieses?

Alessio also ist grosser, grosser Dire-Straits-Fan. Circo Massimo in Rom, damals, erzählt er. Unvergesslich. Was heisst denn das eigentlich schon wieder, where do you think we’re going? Ich: Also, so etwa Dove pensi che andiamo. Wie bitte? Nein, warte: Dove pensiamo che vai. Dove pensiamo che vai? Das macht jetzt aber grad gar keinen Sinn. Du hast recht, Alesssio, es heisst ja “Where do you think you’re going”, nicht wir going. Entschuldige. Und das heisst: Dove pensi che vai. So circa. Bene. Und, eben: Hier ist es nicht so schlimm mit der organisierten Kriminalität, oder? Oder täusche ich mich, Alessio?

C’é tanta malavita, mein Freund. Grauenhaft. In Bari oder Foggia, in Foggia zum Beispiel: Fehden, die schon zwanzig Jahre dauern. Junge Burschen, die abgeknallt werden, weil vor fünfzehn Jahren der Cousin ihres Halbonkels den Schwager eines Bruders des verfeindeten Clans erschossen hat. Was für ein Scheissland sind wir, sag mir das mal! Woher bist du, aus Holland? Nein, Schweiz. Also, Schweiz. Hier, bei uns, was für eine Scheisse! Alessio, Vorsteher des “Juventus Fan Club Pavel Nedved Gallipoli”, regt sich auf. Ich sage: Aber die Fischer zum Beispiel, mit denen ich gesprochen habe, machen einen zufriedenen Eindruck. Sie sind gut organisiert, in einer Kooperative. Das ist doch schon was. Alessio: In einer? Fünf Kooperativen sind es, jede für sich ohne Einfluss. Hör zu: Im September dürfen sie nicht mehr fischen seit einer Weile. Schonzeit. Verboten. Gute Idee, oder? Aber werden sie entschädigt dafür? Werden – sie – ent – schädigt? Sie warten noch heute auf das Geld von 2009. So ist das. Es ist ein Scheissland, ich sage es dir. Ich war einmal in Berlin, eine zeitlang. Die haben mir das Gebiss gemacht. Und die Kasse hat es bezahlt. Die Kasse hat es einfach bezahlt. Mit “Brothers in arms” begann der Abstieg, oder? Was meinst du? Brothers in arms, da fingen sie an nicht mehr so gut zu sein. Alessio: Finde ich nicht. Finde ich überhaupt nicht.

Ein Spiel hab ich mir vorgenommen zu schauen in diesen Ferien: Italien-Serbien. Es wurde: Mehr als ein Spiel! “Jetzt geht Stankovic zu ihnen hin”, schnauft der Reporter. “Er applaudiert seinen Fans. Das muss zynisch gemeint sein. Und jetzt: drei Finger, er zeigt ihnen drei Finger. Stankovic will sagen: Seht her, wegen euch verlieren wir jetzt null zu drei. Ja, es ist zynisch gemeint, ganz sicher zynisch.” Ivan la Bestia, beste Unterhaltung auf Rai Uno. Am nächsten Tag mit, am übernächsten ohne Sturmhaube auf der Frontseite der Gazzetta dello Sport. Wir haben ihn! Ivan la Bestia: Ich habe nichts gegen euer Land im Fall. Es war nur wägenöisem Goalie.

Der Regionalsender heisst Tele Onda. Es gibt eine eigene Sendung zu Gallipoli Calcio. Wer das schaut (ausser mir), weiss ich nicht. Sogar die Studiogäste schlafen fast ein während der Sendung. Aber ich muss einmal etwas anderes sehen als Ivan la Bestia und die Geschichte rund um den grauenhaften Mord an einem 14-jährigen Mädchen in Taranto (Alessio: Wer tut sowas? In was für einem Scheissland leben wir, wo jemand sowas tut?). Leider spielt Gallipoli im Via del Mare in Lecce. Es hat einfach keinen Platz für einen Platz in diesem Mikro-Städtchen. Aber in Lecce Gallipoli schauen, macht auch keinen Sinn. Nardô, die spielen zuhause, gegen Ischia. Fünftliga. Ich mag nicht hin, es ist grad so warm im Sand. Darum schicke ich einen Abgesandten. Der Bericht: ca. 2000 Zuschauer, viel Gesang der Utras, also, Ultras, null zu null. Mein lieber Kalmar, was für ein Land.

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5 Responses to Herbst auf dem Absatz

  1. Stibe says:

    …und was für ein Unterschied zu den Hafenhuren in Kreuzlingen! 🙂

  2. admin says:

    Ein Hafen ist ein Hafen ist ein Hafen, Oder, Stibe?
    Herzlich: Ihr Andreas Hafen

  3. Stibe says:

    Apropos: Ist der eigentlich wieder aus dem “Hafen” ausgelaufen, der Herr Hafen?

  4. admin says:

    Keine Ahnung. Präsident von Kreuzlingen ist er aber nicht. Das weiss ich.

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