Perugia, Italy

“That’s Perugia. It’s fuckin’ beautiful.” An dieses Zitat aus dem Film “Small faces” (1996) glaube ich mich erinnern zu können. Der Bruder des Protagonisten ist angehender Künstler – ein hartes Los im Glasgow der 60er Jahre. Irgendwann steht er mit einem Freund in einer Galerie vor einem ich glaube kubistischen Gemälde einer Stadt und sagt dann eben diesen Satz: “That’s Perugia. It’s fuckin’ beautiful.”

Zwei Jahre, nachdem der Film lief, war ich eine Weile in Perugia. Der örtliche Verein hatte gerade Hidetoshi Nakata verpflichtet und war seit kurzem zurück in der Serie A. Beim ersten Spiel der Saison waren viele Japaner und noch mehr Japanerinnen im Stadion. Alle wegen Hidetoshi. Es wurde ein grossartiges 3-4 gegen die Juve, im strömenden Regen, und Hidetoshi und Zinedine Z. überboten sich im Mittelfeld gegenseitig. Danach war ich noch ein paarmal dort, auch im Stadion, und mit jedem Jahr ging es dem Verein schlechter.

Nach dem Konkurs und der formellen Umbenennung 2005 spielt die AC jetzt in der Serie C1. So schnell kanns gehen. In aller Herrgottsfrühe entsteige ich dem Nachtzug. In Florenz, Campo di Marte. Den Anschlusszug hab ich verpasst. Zum Glück. Sonst könnte mein Weltbild und speziell jenes, das ich all die Jahre über Trenitalia gepflegt habe, ins Wanken geraten. Schnell in die nächste Bar. Der Café kostet 80 Cents, der Italiener, der ihn kolbt, ist Pakistani. Es reicht noch für das Erklimmen der Überführung, von wo aus man die Mauern des Stadions erblickt. Dann fährt der nächste Zug. It’s a bummler. In Perugia ist alles noch gleich, ausser dass sie jetzt eine Minimetro haben, die vom Stadion unten am Bahnhof vorbei hoch hinauf in die Altstadt fährt. Ein grosses Vergnügen ist so eine Fahrt, nicht zu vergleichen mit den Strapazen, denen man sich zuvor auf den diversen Rolltreppen hatte unterziehen müssen. Mini-Mini-Mini-Metro! In der Stadt halte ich kurz vor einem Wegweiser. Er weist mir den Weg zum “Palazzo del Capitano del Popolo”. Sofort denke ich an Ivan Ergic. Und siehe da: Ich denke nicht allein. Ein kulturreisender FCB-Fan hat hier zuvor schon markiert. Es ist immer erfreulich, wenn die Leute Umbrien entdecken, dieses zarte Pflänzchen zwischen Bumm-bumm-Rimini und und brutta Roma. 

Am nächsten Tag will ich einen neuen Fanartikel kaufen. Meine alten sind so verbleicht. Aber da merkt man schnell, wo der Verein heute spielt. Es gibt nur einen Kiosk, der etwas hat: einen extrem wüsten Schal und eine Mütze, die schön wäre, aber nur auf Kinderköpfe passt. Dass aber Kinder sich heute Perugiamützen wünschen, ist unwahrscheinlich. Und dass Erwachsene sich Perugiamützen in Kindergrössen aufsetzen auch. Immerhin finde ich nach langer Suche jenen Tabacchi wieder, der Postkarten vom Stadio Renato Curi verkauft. Zwanzig Stück bitte sehr. Grazie. Sie sind herabgesetzt. Oh je. Ich werde von Sentimentalität eingehüllt. Aber nur kurz! Denn was sehe ich? Zwei Sportler in roten Dresses. Unauffällig nähere ich mich. Tatsächlich, sie sind von der AC Perugia. Sehr langsam schlendern sie im historischen Zentrum auf und ab. Sie haben offenbar gerade Trainingspause und hoffen, von irgendjemandem als Fussballer erkannt zu werden. Aber da ist nichts. Ausser mir. Also praktisch nichts. Auch in der Serie C tun Fussballer noch, was sich gehört: Sie schauen sich in Mode- und Schmuckläden um. Erneut unauffällig drücke ich auf den Auslöser. Klick. Und sehe beim zweiten Hinschauen, dass sich der Verein nun seiner Wurzeln besinnen will und sich von Umbro ausrüsten lässt. L’umbro in Umbro. Gehört zwar jetzt auch Nike, aber was will man machen. Die bekannten lokalen Pralinées, die Baci der Firma Perugina, sind ja auch schon lange von Nestlé.

Es hat noch eine neue Buchhandlung im Zentrum. Dreistöckig. Die Fussballabteilung ist seltsam. Es gibt drei Mourinho-Biografien und vier Bücher, die “jetzt aber richtig” das Phänomen Ultrà erklären wollen. Dann viele Sachen über Inter, Juve und Milan, wie überall, an jedem Kiosk, in jeder Konditorei. Dann drei neue Bücher von Carlo Petrini. Ich hatte sein erstes gelesen, worin er gegen Ende schreibt, er sei sehr krank usw. Es freut mich, dass es offenbar nicht so schlimm ist. Ich kaufe nichts. Zwei Gassen weiter steht immer noch der Plattenladen “Musica Musica”. Der Chef dreht mir eine Bruno-Conti-Single von 1983 an. Ich kann nichts machen. Auf der Cover-Rückseite schreibt Conti: “Wenn ich so spielen würde, wie ich singe – Mamma mia!” Das schafft nicht jeder, so viel Selbstironie. Nicht in Italien und auch nicht sonstwo. Dann gehts wieder heim. Nein, halt: In den Nachrichten auf Rai1 will noch die Frau gerade die Lottozahlen verlesen, da schreit eine Stimme aus dem Off eine Tirade gegen Berlusconi. Schnitt zum Tagesschau-Sprecher. Der völlig konsterniert. “Eeehh, nostro disturbatore”. Offenbar kennen sie den schon lange. Buona sera insieme. Die Bilder kommen ein andermal. Mein Commodore 64 ist kaputt.

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