“Sie sorry, käned Si Balodor?”

Bereits zum zweiten Mal nach 2011 schickten wir unseren alten Zlaty Basant als zufälligen Zaungast zur Fi-Fa-Fo, Fi-Fa-Fu, Fifa-Feier an den Zürichsee. Hier sein Bericht:

Ich habe eine neue Tasche. Mit der schlendere ich aus dem Tram und überlasse sie der Schwerkraft und dem Gesetz der Trägheit. So baumelt sie ein bisschen an mir herunter, und ich sehe völlig unabsichtlich aus, eben wie ein richtiger Flaneur, der kein Ziel hat, auch nicht das Kongresshaus. Da spaziere ich hin.

“Sie sorry, käned Sie Balodor?” “Wie bitte?” “Balodor, käned Sie? Wüsset Sie wo das isch?” “Aha, ja, mein Sohn, das kenne ich. Siehst du dort den blauen Lichtstreifen? Das ist das Kongresshaus. Man hätte es fast abgerissen, aber rückwärtsgewandte Architekten haben es gerettet im Sinne der Verdichtung. Dort, im Kongresshaus, dort findest du deinen Ballon d’or.” Glücklich rennen die Jungen los, ich ziellos hinterher. Und plötzlich: autoautoStehe ich mitten drin! Es hat noch viel mehr Leute als bei meinem letzten Mal, und viel mehr Übertragungswagen. Es sieht aus wie der Wagenpark vom Zirkus Knie, nur sind die Satellitenschüsseln grösser. Also beim Knie.

Ich finde einen sehr guten Platz in der Armenecke. Das ist dort, wo der rote Teppich nicht mehr hinreicht, wo die Limousinen leer abdrehen. Trotzdem: Ganz leer geht man hier nicht aus. Ein Spieler ist zum Greifen nah. Sein Name: Basic Security. Ich weiss nicht, wo er im Moment spielt, er sagt nämlich nichts, steht stoisch da. Vielleicht ist er bei Basic Sevilla unter Vertrag. Ein anderer ist da schon offener: Er klatscht die Leute ab, lässt sich feiern, lacht, heizt gar die Stimmung an. Einer zum Anfassen eben, ein Star alter Schule. Es ist Philipp Schmuki von Tele Züri. Alle kennen ihn, er kennt alle. Von anderen kann man das nicht behaupten. Sergio Ermotti zum Beispiel läuft incognito über den Teppich. Könnte es ihm gar recht sein? Die alten Sportskameraden Andy Egli und Thomi Bickel ziehen auch keinen Blick auf sich, nicht einmal den Blick am Abend. Vielleicht ist es gut so. Egli trägt über dem Anzug einen grossen Rucksack, Bickel hält eine knallgrüne Plastiktüte. Vielleicht kommen sie neben Ermotti zu sitzen. Können sie was lernen über Aussehen.

Die Situation ist unübersichtlich. Piqué ist ohne Shaqiri gekommen. Hinten steht Beckenbauer. Da kommt Udo Jürgens. Udo Jürgens! Den weissen Bademantel trägt er schon unter seiner Kleidung. Der alte Fuchs. Jetzt kommt endlich wieder die Zoom-udoFunktion meiner Handykamera zum Einsatz, 2.0 MegaPixel SonyEricsson. Udo, ich hab dich! “Buenos Dias Argentina”, wird er nachher vielleicht singen zu Ehren der Zaubermaus, die diesmal durch die Regenrinne das Kongresshaus betritt. “Buenos Dias Argentina”, diese Runde hat Udo hundertausendfach auf dem Markt eingelocht, immer noch seine meistverkaufte Single, und lässig, als hätte es Videla nie gegeben. Überhaupt Videla: Es sieht auch alles ein bisschen aus wie das Klassentreffen pensionierter Diktatoren, was da den schwarzen Wagen entsteigt. Die Damen haben sich im Schnitt deutlich besser gehalten als die Herren. Sie sind im Schnitt aber auch 60 Jahre jünger. Und wenn sie den ersten Stiletto auf den Teppich setzen, fängt es an am Gitter, das Raunen, Raunzen, Grunzen des Pöbels, die Pfiffe, das Hecheln, und getropft wird es auch schon haben da und dort. Fredy Bickel ist da froh, kennt ihn hier niemand und kann er ohne blöde Fragen zulaufen. Man kann sagen: Wer nicht entweder im Bravo-Sport vorkommt oder seine Brüste operiert hat oder beides, kommt hier am Balodor ungeschoren davon.

Wer wie ich nur zufällig hier ist, dem wir es langsam anders. Aus der Armenecke erkennt man ja nicht alles genau, was vorne abläuft und wer wer ist. Sheva, ja, den schon. Wird recht bejubelt für einen Politiker. Aber sonst könnte irgendwie jeder jeder und jede sein. Ist das dort Fillol? Ist das Valderrama oder seine Frau? Vreni Schneider, Adalbert Stifter, Mario Widmer, Heinrich Heine, punkt komma strich komma? Ich gehe jetzt besser. “Hetts denn do kene wo drus chond wele wele’n’esch?”, fragt eine aus vermutlich Hellbühl hinter mir eine andere. Und ein Fenerbahce-Fan im Rollstuhl bittet um einen Platz in der vordersten Reihe, vergebens. Du, sorry. Isch Balodor, weisch.

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3 Responses to “Sie sorry, käned Si Balodor?”

  1. Floyd says:

    Genau darauf hatte ich gestern noch gewartef: Zlaty mit 2 Megapixel am Balodor. Danke.

  2. manuela schiller says:

    Am Frühstückstisch am Tag danach springt mich unsere Corinne Mauch, lachend neben Sepp Blatter und Depardieu an (Depp Adieu, wie jemand twitterte, gefällt mir, getraue ich mich aber fast nicht zu schreiben). Muss sie das? Weil sie ja die Stadtpräsidentin von allen ZürcherInnen ist? Weil Die Fifa in Zureich ihren Sitz hat? Oder dürfte sie (so sie denn wollte), diesen Ehrenplatz verschmähen? Ein Morgen, an welchem ich wieder genau wusste, weshalb ich nie in den Gemeinderat, Kantonsrat oder irgend einen Rat wollte. Mein kleiner Luxus an Radikalität?

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