Fussball im Buch: “Die Unglücksraben”

johnsonDieser Roman besteht aus 28 Teilen, nur der erste und der letzte Abschnitt sind gekennzeichnet. Sie sollten in der vorgelegten Reihenfolge gelesen werden. Falls der Leser damit nicht einverstanden ist, kann er bei der Lektüre nach Belieben eine eigene Ordnung schaffen.

Das Buch mit diesem Vorspann ist kein Buch, kein eigentliches. Es kommt in einer Kartonbox. Darin liegen eben diese losen 28 Kapitel. Mein Exemplar stand seit zehn Jahren (von mir) ungelesen im Gestell. J. hatte es mir geschenkt, einer der Co-Besitzer unseres damaligen Buchladens an der Langstrasse, er war es, der mir den britischen Autoren B.S. Johnson ans Herz legte.

Die Geschichte spielt in einer namenlosen Stadt in England. Glaubt man heutigen Kritiken, so kann diese Stadt als Nottingham identifiziert werden. Die Hauptperson muss in diese namenlose Stadt reisen, um für eine Zeitung einen Fussballmatch zu rapportieren. Kaum am Bahnhof, überkommen den Sportjournalisten lose Erinnerungen an frühere Besuche in diese Stadt, Besuche bei seinem ehemaligen Studienfreund. In einem sprachgewaltigen Staccato erscheinen Bilder und Gesprächsfetzen, Geister aus der Vergangenheit, und allmählich setzt sich das Ganze zusammen: Der Freund ist jung, zu jung, an einem Krebsleiden verstorben, hinterliess Frau und ihr kleines Kind. Der Verlust wiegt bei allen sehr schwer, auch beim Erzähler. Mit Mühe gräbt er in seinen Erinnerungen und schildert den körperlichen Verfall, bisweilen gnadenlos präzis. Er zeigt aber auch Mühe, sich überhaupt zu erinnern und weiss bald nicht mehr, was wahrhaft wie passiert war. Ein zweiter Erzählstrang schildert einen weiteren Verlust, der in dieselbe Zeit fiel, der einer grossen Liebe.

Johnson experimentiert mit der Sprache und mit der Romanform an sich. Da die Kapitel nicht nummeriert sind (ausser das erste und das letzte), weiss ich selber nicht, ob meine 28 Buch-Teile nicht schon vor zehn Jahren arg durcheinander geraten sind. Ich mache mir beim lesen einen Spass daraus und ziehe absichtlich irgendein Kapitel als nächstes aus der Box. Ein seltsames Leseerlebnis stellt sich ein. Alles ist brüchig, die Erzählung und das Buch selber. Überall Verfall.

Irgendwann (bei mir ganz zu Beginn, in der Abfolge der Geschichte eher ganz am Schluss) kommt das eine Kapitel, das im Stadion spielt. Der Erzähler kämpft mit seinem Anspruch, den Fussball auch in der Zeitung literarisch abbilden zu wollen. Sportreporter ist ja nur ein von ihm gehasster Brotjob, eigentlich schreibt er lieber Bücher. Grandios ist nun, wie Johnson diese Zweifel seiner Hauptfigur im Text aufzeigt, auch dessen Suche nach dem perfekten Worten zur Beschreibung des Geschehens:

Der Gastgeber konnte sich nur mit knapper Not ändern, hohle Phrase, durchstreichen, nachher vor einem frühen Rückstand retten, als sein fangsicherer oder so Keeper Phipps einen hohen Ball von Mittelstürmer Lomax abprallen liess, dann jedoch unerschrocken mutig verbissen verwegen dessenungeachtet in die Bresche sprang hinterher hechtete
und den gemeinschaftlichen Versuch zweier United-Stürmer vereitelte, den Ball im Netz zu versenken. Oder so. Hoffentlich muss ich das nachher nicht nehmen.

(…) Bar jeder Ereignisse schleppte sich das Spiel dahin, nein, ja, was ist mit Alexander, vorhin, mit seinem Lattentreffer. Alexander schleppte sich aus seiner rechten Abwehrposition nach vorn und setzte mit einem Weitschuss Phipps ausser Gefecht, den Ball jedoch nur an das Lattenkreuz wie eine verletzte Schlange muss ich irgendwo noch unterbringen, nein, das haut nicht hin, zu bemüht, gestrichen.

Schliesslich telefoniert er zum Ende des Spiels und des Kapitels mit seiner Redaktion und diktiert die finale Version des Spielberichts Wort für Wort (mit Satzzeichen). Mit der Redaktion steht der Erzähler ebenso auf Kriegsfuss wie mit seinen Reporter-Arbeitskollegen. Diese nennt er konsequent nur „die Rowdies“, oder auch „überbezahlte Heuchler, die ihre Reportagen aus vorgefertigten hohlen Phrasen zusammenstoppeln und dem Fussball all das aufdrücken, von dem sie sich einbilden, ihr Publikum wolle es lesen“.

Modern, was Bryan Stanley Johnson da 1969 zu Papier brachte. Inhaltlich aber arg morbid.

(B.S. Johnson: Die Unglücksraben. Schneekluth, München 1993)

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2 Responses to Fussball im Buch: “Die Unglücksraben”

  1. admin says:

    Das erinnert mich vage an einen der besten Matchberichte, die ich je in einer Schweizer Zeitung gelesen habe: Richard Reich in der NZZ über GC gegen Zenith (Uefa Cup, 2002). Ich weiss den exakten Wortlaut nicht mehr auswendig, doch um etwas von der Gleichgültigkeit und der Ferienstimmung zu vermitteln, die er bei den Gästen aus St. Petersburger beobachtete, schrieb Reich, in der Abwehr seien die Russen immer “mindestens eine Reisebuslänge” vom Gegenspieler entfernt gestanden.

  2. dbFCZ says:

    «Da stellten die Russen tatsächlich eine klassische Viermannabwehr auf den Platz: einen ordentlichen Rhombus mit einem gediegenen Routinier (Owsepian, 30, Geheimratsecken) als Libero, immer eine gute Reisecar-Länge hinter den übrigen Veranstaltungsteilnehmern unterwegs. Diese scheinbar solide, aber eben doch leicht antiquierte Anordnung hielt den Anforderungen knapp fünfeinhalb Minuten stand.» (Neue Zürcher Zeitung, 20.09.2002, Nr. 218, S. 49)

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