„Salchichas Puskás“ und „Fritz Walters Krönung“

Grass 001In „Mein Jahrhundert“ lässt Günter Grass Männer und Frauen aus allen Schichten über Deutschland erzählen. – An 1954 und das Wunder von Bern erinnert sich ein mittlerweile bejahrter, doch immer noch umtriebiger Chef einer Consulting-Firma aus Luxemburg. Grass‘ Erzähler kommt nach dem sportlichen Teil („Rahn müsste schiessen!“) zu einem unbekannten, aber reizvollen Kapitel der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte – der erfolglosen Kombination von „Salchichas Puskás“ und “Fritz Walters Krönung“. – Fritz Walter hatte nach dem Weltmeistertitel in Kaiserslautern ein Kino mitsamt einer Toto- und Lottoannahme eröffnet. „Dabei hätte er schon Anfang der fünfziger Jahre in Spanien sein Glück machen können. Atlético Madrid hatte einen Abwerber mit einer Viertelmillion Handgeld im Koffer gesandt. Aber der bescheidene, schon immer viel zu bescheidene Fritz lehnte ab, wollte in der Pfalz bleiben und nur dort König sein.“ – Puskás hingegen kehrte nach dem Aufstand 1956 nicht von einer Südamerika-Reise nach Ungarn zurück, spielte sieben Jahre für Real Madrid und investierte seine Millionen in eine Salamifabrik. Die Idee des Ökonomen und Anlageberaters  aus Luxemburg war bestechend: „Gewiss, meine Idole vermarkteten sich, doch verstanden sie es nicht, ihre Interessen zu bündeln, sich sozusagen im Doppelpack zu verkaufen. Selbst mir und meiner auf Fusionen spezialisierten Firma ist es nicht gelungen, den einstigen Arbeiterjungen aus einem Budapester Vorort und den einstigen Banklehrling aus der Pfalz zu Geschäftspartnern zu machen, zum Beispiel die Salamiwürste des Majors Puskás zugleich mit dem Spitzensekt „Fritz Walters Krönung“ anzubieten und auf profitabler Ebene den Provinzhelden mit dem Weltbürger zu versöhnen. Misstrauisch jeder Fusion gegenüber, lehnten beide ab oder liessen ablehnen.“  – Tief enttäuscht ob dieser geschäftlichen Niederlage kommt der Consulting-Experte ganz grundsätzlich ins Grübeln: „Was wäre aus dem deutschen Fussball geworden, wenn der Schiedsrichter, als Puskás traf, nicht „Abseits“ gepfiffen hätte, wir bei der Verlängerung in Rückstand geraten wären oder das fällige Wiederholungsspiel verloren hätten und schon wieder als Besiegte, nicht als Weltmeister vom Platz gegangen wären…“

PS:  Mehr Fussball in „Mein Jahrhundert“: 1903: Auf Pfingsten begann  kurz nach halb fünf das Finale. Wir Leipziger hatten den Nachtzug genommen…. 1974: Wie ist das, wenn man sich vor der Glotze doppelt erlebt? ….. Welch innerer Konflikt brach aus mir aus, welche Kraftfelder haben an mir gezerrt, als Sparwasser das Tor schoss?

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