Warum nicht einmal gratis?

Diese Geschichte wollte ich schon lange mal ausführlich bringen. Die Zeit ist gekommen.
1977_Letzi_stadtarchiv_091976 begann die Stadtpolizei Zürich systematisch alle öffentlichen Wandschmierereien in einer Datei zu erfassen. Damals geschah das noch auf Karteikarten, die in einem Kasten abgelegt wurden. Die Sache war nämlich die, dass Mitte der 1970er-Jahre die Stadt von aufmüpfigen Jugendlichen zunehmend mit allerlei Parolen verschmiert/verschönert wurde. Viele der Sprüche waren von dieser erfrischend anarchistischen Sorte, die ein paar Jahre später auch die Zürcher Bewegung vorantreiben sollte. An der Hauptpost stand in grossen Lettern “Ihr Pöstler, lest nicht immer unsere Postkarten!” und auf ein Tramhäuschen wurde “Zürcher, schmust mehr im Tram” geschmiert. Hübsche Sachen halt.

Die Karteikarten-Ablage der Stapo ist mitlerweile im Stadtarchiv Zürich frei zugänglich. Sie bietet einen schönen Einblick in die Themen jener Jahre. Beim durchblättern ist mir dann auch mal dieser Eintrag an der Herdernstrasse 45 aufgefallen: “Hardplatz nein & versch. Sprüche betr. dem FC Zürich”.

Was war geschehen? Mitte Mai 1977 waren Unbekannte ins Stadion Letzigrund eingedrungen und sich dort mit ihren Forderungen verewigt. Hauptanliegen war offenbar der Protest gegen die Erhöhung der Stehplatz-Eintrittspreise von 4 auf 5 Franken (“4.- sind genug”). Die relative Ungestörtheit und die Grösse der vorhandenen Wandflächen liessen noch Raum und Zeit für weitere Bekenntnisse. Auf der Osttribüne stand zum Beispiel “Weg mit der Finalrunde!” – jene Finalrunde, die erst seit einer Saison bestand. “Besser decken, ihr Teigge” und “Mehr Direktabnahmen!” zeugen von Fussballsachverstand. “Tschau Köbi” wurde mit einem in die Wand geritzen Herz verziert (Kuhn gab 1977 seinen Abschied vom Fussball). Das deutliche “Hardplatz NEIN” auf dem Wurststand bezog sich auf die umstrittene Abstimmung zum Abschluss des Hardbrücke-Projekts. Hier die zugehörigen Polizeifotos:
1977_Letzi_stadtarchiv_01 1977_Letzi_stadtarchiv_02 1977_Letzi_stadtarchiv_03 1977_Letzi_stadtarchiv_04 1977_Letzi_stadtarchiv_05 1977_Letzi_stadtarchiv_06 1977_Letzi_stadtarchiv_07 1977_Letzi_stadtarchiv_08

 

 

 

 

Die Geschichte legt deutlich zu Tage: Fussballfans wehren sich, wenn sie sich schlecht behandelt fühlen. Fussballfans haben durchaus Humor. Und Fussballfans äussern sich auch politisch. Man könnte sagen: Die Abstimmung von morgen Sonntag steht in einer gewissen historischen Tradition.

Die systematische Fichierung aller Grafittis wurde übrigens 1980 vorerst wieder gestoppt. Es wurde wohl einfach zu viel geschmiert.
(Dank ans Stadtarchiv Zürich für die Bilder)

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One Response to Warum nicht einmal gratis?

  1. Anna Pia Maissen says:

    Lieber Peroni
    Herzlichen Dank für den witzigen Artikel und die Nutzung unserer Bilder aus dem Stadtarchiv Zürich – so stellen wir uns das vor 🙂 !

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