Irgendwie will sie nicht recht ankommen, die Vorfreude auf diese EM, und ich weiss nicht, ob das nur daran liegt, dass wir nicht mitspielen dürfen. Vielleicht hilft da gute Lektüre, die zwar von Fussball redet, aber eigentlich viel mehr meint. Wer Andrzej Stasiuk mag und auch Karl-Markus Gauss und sich gern in den Osten entführen lässt von einheimischen Autoren und Autorinnen, der darf „Totalniy Futbol“ – eine polnisch-ukrainische Fussballreise – gelassen kaufen. Da wird nicht zuviel versprochen.
Es geht kreuz und quer durch Polen, zunächst von Danzig an der Ostsee über Warschau rüber nach Posen und runter nach Breslau. Da ist man schon gut aufgewärmt, weiss genau, wie 1934 ein polnisch-jüdisches Fussballspiel im von Nazis beherrschten Danzig ablief, dass es heute in Warschaus vergitterten Hinterhöfen keine Ballgeräusche mehr gibt, weil keiner mehr die Kinder rauslässt. Man wundert sich, dass in Posen eine schöne Frau mit zwei Playboy-Fotoshootings den Klub Warta präsidiert, den zweiten Klub hinter Lech, dem von Bähnlern gegründeten und drum sofort sympathischeren. Trawinski, das älteste Mitglied der Fangemeinde Wielki Slask in Breslau berichtet, wie seine Eltern 1945 als Umsiedler in die von den Deutschen verlassene Stadt kamen. „Aber dort, wo niemand einheimisch ist, verschwimmt die Unterteilung in Hiesige und Fremde“, sagt Trawinski, und erzählt, wie Wroclaw vor der Wende zum Schlupfwinkel und Asyl für komische Vögel, Freaks, Hippies und unruhige Geister wurde und danach räuberisch, chaotisch, voll Reklamebannern und Strassenbahnen, die sich in bunte Litfasssäulen auf Rädern verwandelten. „Bis die Leute aufhörten zu den Spielen zu gehen, wegen alldem. So verblödet waren sie von dem ganzen Übermass, überfressen.“ Dann ist Halbzeit und es geht rüber nach Lemberg, „die ideale Stadt für Nostalgien jeglicher Couleur“, aber etwas langweilig, drum schnell weiter nach Kiew zum Höhepunkt des Buchs, der Legende von Valeri Lobanowskyi, dem Dynamo-Meistertrainer, dessen Vita sinnbildlich für den Zerfall der UdSSR steht, was Juri Andruchowytsch, trocken, und doch hochspannend in zahlreichen Episoden erzählt: Loban, „der personifizierte Weltruhm“, der mit Dynamo Kiew und rund um Oleg Blochin den totalen Fussball des Ostens begründet hatte, war in den letzten Jahren nach seiner Rückkehr nach Kiew „grau, aufgedunsen, fett und irgendwie verlangsamt. Fussball hatte aufgehört ihn zu interessieren, alles hatte aufgehört ihn zu interessieren, ausser Kognak.“
Aus Charkiw folgt nun eine heitere Auswärtsfahrt mit Metalist-Anhänger Uschkalov, der von seiner PR-Agentur an ein Freundschaftspiel der Ukraine nach Estland geschickt wird. Zum Abschluss geht’s zum „osteuropäischen Barcelona“, dem ruhmreichen Schachtar Donezk und seinem Oligarchen Rinat Achmetow. Und es ist wohl kein Zufall, dass die „Perle des Donbas“ das Buch beschliesst, denn nirgendwo vorher sind Fussball und Politik so offensichtlich und eng verknüpft. Mit den Problemen dieser wundersamen Bergbau-Stadt werden sich nur wenige EM-Schlachtenbummler befassen. Wer genauer wissen will, warum Donezker weiterhin für die neue Macht stimmen, obwohl sie „kaum etwas tue“ – der schnappt sich „Totalniy Futbol“.