Fussball in Genua

Wenn Freunde mir zum Geburtstag eine Freude machen wollen, dann bekomme ich ein Buch über Fussball geschenkt: Heuer war es „Kein Espresso für Commissario Luciani“. Der Genueser Autor Claudio Paglieri erzählt von einem Schiedsrichter, der sich in der Halbzeitpause im Marassi-Stadion das Leben nimmt. Kommissar Luciani ermittelt rund um die Fussballklubs der Serie A wegen Spielmanipulation und Bestechung und aufmerksame Fussballfreunde wissen sofort, dass hier eigentlich die Machenschaften von Juve-Manager Moggi und dessen Hintermännern literarisch verarbeitet werden. Man streift mit Luciani durch die Altstadt zum Alten Hafen, lässt sich mit ihm forttragen in eine verrückte Affäre mit einer zauberhaften Privatdetektivin und weiss dabei die ganze Zeit, dass dieser Fall zwar aufgelöst wird und Schuldige bestraft werden, sich aber nachher alles im Sande verläuft und alles wie immer weitergeht in der schönsten Liga der Welt.
Die Erzählung hat bei mir Erinnerungen ausgelöst an eine Reise nach Genua zum Spiel Sampdoria – Milan im April 1985. Das Marassi-Stadion war alt und baufällig und der Gästesektor im zweiten Rang hinter dem nördlichen Tor noch nicht überdacht. Von den Balkonen der Hochhäuser rund um das Stadion leuchteten Fahnen der Samp-Fans in Blau-Weiss- Schwarz-Rot. Damals konnte niemand wissen, dass wenige Monate später die Heysel-Katastrophe den europäischen Fussball verändern und den Ruf der englischen und italienischen Fans schwer beschädigen würde. Jedenfalls spielten bei Milan zwei umjubelte englische Stürmer, Wilkins und Hateley, und bei der Sampdoria der schottische Nationalspieler Graeme Souness. Daran erinnerte ich mich sofort wieder, dass daneben aber auch die Stars Baresi, Maldini und Tassotto bei Milan und Vialli bei der Sampdoria spielten, weiss ich nur wegen dem Fussball-Archiv im Netz.
Der längst vergessene 2:1-Sieg der Sampdoria gegen das müde Milan im April 85 – kurz vor der offensiven Revolution des Arrigo Sacchi – ist im Buch von Paglieri mit keinem Wort erwähnt. Wie bringe ich also Buch und Reise zusammen? – Commissario Luciani erinnert sich darin an einen Ort, der mir beim Lesen sofort bekannt vorkam: In einem Rundumschlag gegen den modernen Fussball, der Kindern jede Spielfreude und Spontaneität austreibt, schwärmt der Kommissar vom Fussballplatz beim Betsaal mitten in der Genueser Altstadt und wie sie sich als Jugendliche dort früher selbst organisiert hatten und Matches spielten mit jenen, die gerade auch dort waren. Auf meinem Streifzug durch die Altstadt vor dem Spiel im Marassi-Stadion war ich 1985 mit meiner Fotokamera ausgerechnet an jenem Kiesplatz vorbeigekommen und hatte die einheimischen Jugendlichen abgelichtet, die sich besonders ins Zeug legten vor dem ausländisch aussehenden Tourist mit langem Haar und Jeans-Jacke. Als ich einen der Jungen fragte, ob er auch zum Match gehe, sagte er: „No, sono Genoano.“
Damit auch alle wissen, dass diese Begebenheit „vero“ ist und nicht nur „ben trovato“, hier ein erstes Bild aus meinem Familienalbum für alle Detektive unter den KD-Leser/-innen. Zwei Details untermauern die Wahrheit meines Berichts eindeutig: Direkt hinter dem Spieler Nummer 3 im weissblauen Trikot links im Bild ist die Seitenfassade einer Kirche erkennbar, der sogenannte Betsaal. Auffällig ist das grauweisse Muster am Ende der Kirche. Zweitens: Das Laub an den Bäumen neben der Brandmauer ist noch frisch, was beweist, dass das Bild mit Sicherheit im April aufgenommen wurde.
Bild 1

 

 

 

 

Anmerkung zu Bild zwei mit den Verkaufsständen der fliegenden Händler vor dem alten Marassi-Stadion. Die Fahnen mit dem Union Jack und den Portraits der englischen Milan-Spieler flatterten nicht mehr lange im Wind: Hateley und Wilkins wurden bald darauf von Arrigo Sacchi ausgemustert und durch Marco Van Basten und Ruud Gullit ersetzt. „

Bild 2

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2 Responses to Fussball in Genua

  1. admin says:

    Wäre die Beweislage nicht so eindeutig, ich würde tatsächlich ein Plagiat vermuten. Was hattest du denn für eine Kamera damals? Die Farben sind ja zu viel des Guten. Ich bin sprachlos. Kann ich einen Abzug kaufen?

  2. stadtbühl says:

    Geschätzter Herr Admin
    Soviel ich mich erinnere, habe ich mit einer Minox-Spiegelreflex-Kamera fotografiert. Allenfalls sind auch die Negative der Fotografien noch vorhanden. Offensichtlich war damals auch ein Laie fähig, anständige Fotos zu schiessen. Die Carabinieri wollten nach dem Foto vor dem Stadion mit Verweis auf ein Fotografier-Verbot von Polizisten den Film konfiszieren, sahen aber davon ab, als sie erkannten, dass ich ausländischer Tourist war. Mit Freude sende ich Ihnen einen Abzug der Bilder zu.

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