Kaffee (schwarz, gesungen)

Es windet gehörig an diesem Samstagmorgen, vom Atlantik her zieht es durch die Kirchgasse im Quartier Graça. Aus der Gasse kommend fegt die Luft die Strasse hinunter, unter den behelfsmässigen Auslagen der Marktleute hindurch. Bunte Tücher werden angehoben und mit ihnen alles, was sich darauf befindet: alte Uhren, Gläser, Porzellan, Barbiepuppen ohne Kopf, alles wird mit einem Wisch von der einen Strassenseite auf die andere befördert, es scheppert, klirrt und kracht bei der Landung, und von den ganzen halben Habseligkeiten, die im besten Fall ein paar Euro eingebracht hätten am Ende des Tages, ist die Hälfte nun für den Müll.

Nicht kaputt gegangen ist der noch halbvolle Aschenbecher des Partido Socialista, den ich kaufe. Er kann nicht kaputt gehen, weil er aus Aluminium ist und weil der wahre Sozialismus doch nie kaputt geht. Mich irritiert einzig, dass sich die Roten Lusitanier in ihrer Logo-Wahl bei einer Zürcher Fankurve bedient haben. Sonst ist alles normal. Rauchen für den Klassenkampf. Ein paar Meter weiter dann die Musik zur Glut: “Die Internationale” auf Portugiesisch, auf der B-Seite “Bandeira Rubra”. Die Revolution von 1974 hat sich in einer Fülle von Tonträgern niedergeschlagen, ich weiss gar nicht, was alles mitnehmen. Wir haben ja schon einen Hammer zuhause, und so hoch wächst das Gras nun auch wieder nicht, dass wir dazu noch eine Sichel bräuchten.

Nach dem Verzehr eines Apfels, den wir tags zuvor im Laden eines pakistanischen Einwanderers gekauft haben, wo wir neben Rohkost auch noch Schutz vor der Sintflut und eine leise Ahnung von der Beschwerlichkeit erhalten, die der Aufbruch von Lahore in ein neues Leben in Lissabon mit sich bringen kann, stelle ich meine Suchmaschine endgültig auf Fussball ein und finde tatsächlich, nach einer Stunde, bei einer sich in ihrer ganzen Fülle auf einen Klappstuhl niedergelassenen Dame eine Single von Jairzinho: “Jair da Bola”, aussen leicht angeschimmelt, aber innen fast einwandfrei. Wie nicht anders zu erwarten, steht Jairzinho seinen singenden brasilianischen Spielerkollegen in nichts nach: Auch er bringt seinen Samba sicher, locker und harmonisch zu Vinyl. Hätte Gerd Müller doch nur einmal Urlaub gemacht an der Copacabana.

Bei einem professionellen Plattenhändler in Bad-Brains-T-Shirt setzt sich die erfolgreiche Suche fort: “Berço do Porto” von Elisa Silva und eine 4-Song-EP des sportlichen Domingo Pereira, der sich auch Sr. Peles nennt. Sr. Peles besingt die “Selecçao Nacional”, und er tut dies weit weniger drollig, als die Plattenhülle vermuten liesse. Eine weitere Single kramt der zuvorkommende Plattenmann noch aus seiner Tüte: portugiesische Fussballlieder in grossartigem Cover, die er selber kurz zuvor an einem anderen Stand erstanden habe. “Ich muss sie zuerst hören, weisst du. Ich sammle portugiesischen Rock’n’Roll. Die Platte sieht zwar nicht aus, als sei darauf Rock’n’Roll, aber weggeben kann ich sie erst, wenn ich sicher bin.” Er gibt mir seine Adresse. Hoffentlich ist es kein Rock’n’Roll. Hoffentlich ist es kein Rock’n’Roll. Hoffentlich ist es kein Rock’n’Roll.

Jetzt kehren wir um, auf der andern Strassenseite geht es zurück. Ein Händler bietet Fado an für Touristen, immer lauter und lauter dreht er auf und lockt damit auch wirklich Menschen an. Neben und unter dem CD-Fado-Tisch stehen 5 Kisten mit Singles. An die Arbeit. Viel Arbeit. Es wird mir zum Glück geholfen. “Schau auf die Hüllen, man erkennt eine Fussballplatte eigentlich meist recht schnell.” “Die hier?” “Oh du meine Güte!” “Ser Benfiquista” von Xavier de Oliveira. Eines der grossen Klublieder im Format meines Herzens. Vier Augen sehen mehr als tausend Worte. Und auch ich werde fündig: “Le roi Pelé” von Sylvio Silveira et ses rythmes brésiliens. Das geht so: “Noir comme le café, c’est le roi Pelé. Bon comme le café, c’est le roi Pelé.” Grosse Ohren! Dazu: Schüttelschüttelschüttel. Das ist der Rhythmus wo ich mit muss. Obrigado. Jetzt aber weiter, schnell.

 

 

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