Gewaltmonopol, Ultras, Rechtsextreme

Ein paar längst fällige Fragen zum Themenkomplex Fans-Gewalt-Polizei werden auf der deutschen Plattform publikative.org gestellt und intelligent diskutiert. Ausgehend von der Tatsache, dass beim HSV seit zwei Heimspielen hinter dem Tor die Zaunfahne der berüchtigten “Hamburger Löwen” zu sehen ist (anstelle jener der Ultras von “Poptown”), entwirft und begründet der Autor ein Kurven-Szenario für den Fall, dass die Bemühungen um eine Zerschlagung der Ultra-Bewegung in deutschen Stadien zu ihrem Ziel führen. Dass sie zum Ziel führen, wenn sich unter Ultras nicht sehr bald eine grundlegende (Selbst-)Erkenntnis einstellt, steht für die Publikative ausser Frage:

Die Ultras können und werden den Krieg mit den Vereinen und Verbänden und vor allem mit der Polizei nicht gewinnen. Mit und zu Recht wird der Staat sein Gewaltmonopol durchsetzen, denn in der Tat kann kein demokratisch-zivilgesellschaftlich verfasstes Gemeinwesen dauerhaft dabei zusehen, wie eine gewisse Anzahl zumeist junger Männer für sich selbst entscheidet, wann sie Gewaltanwendung zur Durchsetzung ihrer Ziele für richtig hält.

Vor allem zur Frage des Gewaltmonopols wird anschliessend in den Kommentarspalten diskutiert: keine Polizei oder doch lieber eine möglichst gute?

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6 Responses to Gewaltmonopol, Ultras, Rechtsextreme

  1. capitao says:

    Das die Ultras den “Krieg” nicht gewinnen können, steht ausser Frage, aber der Artikel will ja vor allem aufzeigen, dass Vereine und Verbände bei einer Zerschlagung der Ultras eben auch nichts gewinnen.
    Dass die Kurven weiter zündeln, scheint mir bei einem einseitigen Abbruch des Dialogs (wie in Deutschland geschehen) nur konsequent. Was wäre die Alternative? Die Maximalforderung des DFB und der DFL nach einem vollständigen Pyroverbot zu akzeptieren? Die nächsten Forderungen – vom Verbot beleidigender Fangesänge bis hin zum Verbot von inoffiziellen Fanartikel – haben sie ja schon im Köcher. Was dann übrig bleiben würde, mag ich beim besten Willen nicht mehr als Ultras bezeichnen.
    Bleibt zu hoffen, dass man in Deutschland den Dialog bald weiterführt (und in der Schweiz mal einen Dialog beginnt).

  2. admin says:

    Da hast du wohl recht, capitao. Die Wichtigkeit des Dialogs war und ist aber seit längerem Thema, u.a. auch am Fankongress Anfang Jahr in Berlin, aber auch in diversen deutschen Medien. Die Diskussion rund um das Gewaltmonopol habe ich aber in dieser Differenziertheit noch nie gelesen, und deshalb finde ich den erwähnten Artikel so wichtig.
    In einem Interview mit dem ballesterer hat ein Vertreter der Ultras St. Pauli neulich zu den Riten der Ultra-Bewegung gesagt:
    “Ich glaube, das hat die deutsche Ultra-Szene auch in eine Richtung katapultiert, in der sie jetzt festhängt. Dadurch ist sie auch sehr anfällig für staatliche Repression geworden. Befeuert durch eine völlig überzogene Medienberichterstattung, ergibt das eine klassische Lose-Lose-Situation.”
    Und das glaube ich eben auch.

  3. admin says:

    PS: Auch schon bald drei Jahre alt, aber in diesem Zusammenhang vielleicht noch interessant:
    http://www.woz.ch/0926/fussballfans-und-rechtsextremismus/kein-ort-fuer-demokraten

  4. capitao says:

    Der Artikel ist tatsächlich sehr lesenswert. Ich stelle mir in dem Zusammenhang allerdings einige Fragen:
    1. Inwieweit darf man von einer Jugendkultur erwarten, dass sie der Gesellschaft und dem Staat gegenüber kompromissbereit ist? Ende der 90er waren die Ultras in Deutschland ja deshalb so attraktiv, weil sie sich kompromisslos gegen Vereine und Verbände stellten.
    2. Eröffnete die Fixierung von Medien und Politik auf die Pyrodebatte nicht auch Freiräume für die Ultras (und andere Fans), die im Windschatten der Debatte unbehelligt blieben? Ich hätte mir vor zehn Jahren nicht Träumen lassen, dass es heute noch Stehplätze in der Bundesliga gibt.
    3. Sind die Ultras nicht ohnehin an einem Scheideweg? Vieles was man früher bei den Vereinen kritisiert hat (Merchandising, Dauerberieselung), kommt heute von den Ultras selbst. Ist die Pyrodebatte vielleicht der letzte Faden, der alles zusammenhält?
    Ich bin daher auch skeptisch, ob es überhaupt eine Win-Win-Situation geben kann.

    Auch ein interessanter Link, der aber leider einige gute Ansätze in reichlich Polemik ertrinken lässt:
    http://bonjourtristesse.wordpress.com/2012/02/18/die-braunhemden-vom-millerntor-der-hamburger-heimatschutz-gegen-moderne-unzumutbarkeiten/

  5. Someone Else says:

    Ein grosses Problem ist vor allem der öffentliche Druck. Dieser Druck durch Medien, Politik und nicht zu letzt auch von Vereinspräsidenten oder Sicherheitsverantwortlichen (die diesen “Titel” nicht ansatzweise verdienen) verhindert leider ein interner Diskurs über Ziele und Identität von Ultrabewegungen. Selbstkritik wird schwieriger, weil man sich ständig überall rechtfertigen und verteidigen muss. Internen kritischen Stimmen wird, durch ein mit Sicherheit eintreffendes, erneutes und offensichtliches Fehlverhalten der Staatsmacht oder anderen Institutionen rund um den Fussball, die Argumentationsgrundlage entzogen (oder jedenfalls erschwert), dies wiederum sicher auch auf Grund des auch schon von Bernhard Heusler erwähnten sehr subjektive (Un-)Rechtsempfinden der Ultras.
    Jedoch weiss ich, dass es solche Bestrebungen zu internet Kritik trotzdem gibt. Nur muss man halt auch mal ein bisschen Vertrauen haben und auch Abstriche machen bei den Forderungen. Allgemein könnte man mit einer Lockerung des Pyroverbots viel zur Entspannung der Situation beitragen. Die Legitimierung von Gewalt würde innerhalb der Szene viel schwieriger, wenn nicht eine so offensichtliche Feindschaft zu Polizei und Sicherheitskräften bestehen würde. Auch eine Fankurve ist nicht frei von Populismus und gerade was die Gewalt angeht, wird oft viel zu emotional und zu wenig weitsichtig argumentiert. Innerhalb wie ausserhalb der Fanszenen…

  6. David says:

    @someone else, kann alles nachvollziehen, was du hier schreibst. Alles prima. Nur deine Gedanken sind etwas naiv. Bei abnehmendem öffentlichen Druck würde deinen Gedanken zu Folge die Selbstkritik bei den Ultras einsetzen. Sind die Ultras nicht zu lose, zu heterogen, um eine gemeinsame Selbstkritik zu äussern? Deshalb geht es hier meiner Meinung nach nicht um Vertrauen, denn Vertrauen kann ich nur in eine konstante (einigermassen homogene, fassbare) Person/Gruppe haben. Das ist ein Widerspruch in sich. Es geht bei dieser Problematik um die Verhältnismässigkeit der Berichterstattung und anderseits den Umgang mit Mitmenschen bzw das eigene Gesellschaftsverständnis.

    Was ist eine Lockerung eines Verbots? EineAugezu, beideAugenzu?

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