Die SBB, die Sachschäden und die Motive

Gestern Donnerstag veröffentlichte die WOZ einen Artikel, in dem die bisher zirkulierenden Zahlen zu Sachbeschädigungen an Fan-Extrazügen massiv nach unten korrigiert wurden: Statt 3 Millionen Franken jährlich, wie Tagesschau, Tages-Anzeiger und zahlreiche andere Medien behaupteten, sind es gemäss einem internen Papier der SBB nicht einmal 10% davon: 225’503.65 Franken.

Die SBB haben die Echtheit des Dokumentes nie bestritten. Sie wählen dafür eine andere Strategie: Sie relativieren die eigenen Zahlen. Sowohl in der WOZ als auch bei Newsnetz, das die Geschichte aufgegriffen hat, ist von “buchhalterischen Werten” die Rede. Viele weitere Schäden und Verunreinigungen seien da nicht mitgerechnet. Das sind erstaunliche Aussagen.

Fassen wir zusammen: Die für die Extrazüge verantwortlichen SBB-Mitarbeiter erstellen eine Bilanz der Exrazugsaison 2009/2010. Detailliert wird darin aufgelistet und mit Balkendiagrammen dargestellt, wie viele Fans von welchem Klub wie viele Züge benutzt, Billette gekauft und Schäden angerichtet haben. Auf weiteren 8 Seiten ist jedes Spiel einzeln aufgelistet, mit Zugnummer, Anzahl Reisender, Anzahl Sicherheitspersonal, Schadenszahl usw. Diese Papiere sind die Grundlage der regelmässigen Sitzungen der SBB-Regionalverantwortlichen mit der Transportpolizei, den Klubs und den Fanarbeitern. Und nun wollen die SBB behaupten, diese detaillierte Auflistung, erstellt durch ihre eigenen Angestellten, sei Makulatur? Was wirft denn das für ein Licht auf den Bundesbetrieb?

Ohnehin ist offen, inwieweit in der Frage der Extrazüge bei den SBB die rechte Hand weiss, was die linke tut. Da wird das Versteckspiel um die wahren Schadenszahlen verteidigt, weil sonst die Gefahr bestünde, dass die Fans einen “Hooligan-Sachschaden-Wettbewerb” anzetteln. Wer sich dann aber um diese scheinbare Gefahr foutiert und allen SBB-Kommunikationsregeln trotzt, ist ausgerechnet der Bahn-Chef selbst, Ulrich Gygi, Beirat der Young Boys. Um zu betonen, dass “seine” Fans mit Extrazügen ganz gut unterwegs seien, plaudert er die entsprechenden Zahlen für 2010/2011 in der Zeitung aus – und bringt seine eigene Medienstelle damit in Nöte. Ein starkes Stück, ganz abgesehen davon, dass YB mit der von Gygi genannten Schadenssumme von 13’000 Franken (übrigens: brutto oder netto?) bei weitem nicht den Primus stellt.

Die SBB sagen explizit, es störe sie nicht, wenn in den Medien von “3 Millionen Sachschäden” anstatt, wie es korrekt heissen müsste, “3 Millionen ungedeckten Kosten” die Rede sei. Es ist ihr egal, dass sie damit all jene vor den Kopf stösst, die sich um einen geordneten Ablauf der Auswärtsfahrten bemühen. Es ist ihr auch egal, dass sie ihre Mitarbeiter verprellt, die an den regionalen Treffen den Unmut der Vereins-, Liga- und Fanvertreter zu spüren bekommen und die jetzt, neu, auch noch erfahren müssen, dass die von ihnen erstellten Schadensbilanzen nichts taugen.

Die SBB wollen ganz offensichtlich partout, dass sich an den medial transportierten 3 Millionen Franken Sachschaden nichts ändert. Dafür scheuen sie weder argumentative noch kommunikative Kapriolen. Die Aufhebung der Transportpflicht als Motiv ist offensichtlich. Es ist ein politisches Manöver der Bundesbahnen, auf Kosten jener, die ohnehin bei niemandem Kredit haben. Willkommen im neuen Jahr.

Pascal Claude

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2 Responses to Die SBB, die Sachschäden und die Motive

  1. Ruben says:

    Dazu kommt, dass die Zahlen aus der Saison mit dem Brand eines Waggons in Aarau stammen. Warum der gebrannt hat? Man weiss es bis heute nicht, siehe http://rubensch.tumblr.com/post/15400726879/extrazuge-viel-heisse-luft-um-sachschaden

  2. admin says:

    Danke, Ruben, sehr aufschlussreich. Ich könnte jetzt die Zahl nennen, die die SBB für den erwähnten Waggon berechnen. Nur so viel: Deine Einschätzung stimmt insofern, als dieser wie auch immer verursachte Schaden die Endsumme markant beeinflusst.
    Herrn Ginsigs Verweis auf den Sion-Zug ist ein klassisches Beispiel für Argumentationsnotstand. Als hätte jemals jemand behauptet, dieser Extrazug an den Cupfinal sei ein Beispiel für funktionierende Selbstkontrolle.

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