Narrenzeit

Es ist etwas früh, ein Fazit zu ziehen. Aber heute ist der 11.11.11, die Narren sind los, wer will noch mal, wer hat noch nicht. Also: Es hat auch etwas Gutes. Sieben Tage nachdem bei Lazio-FCZ einem Mann eine Petarde in der Hand explodiert ist, hat sich der Vorfall zu einer medienethischen Online-Debatte entwickelt, wie ich sie seit längerem nicht erlebt habe. Einige Blick-Journalisten haben am heutigen Tag erfahren, was es im Zeitalter von Internet, Social Media und Laserdruckern bedeuten kann, wenn zurückgeschlagen wird. Für die anonyme Kampagne gegen die Ringier-Angestellten, die auch die Familien der Betroffenen mit einbezieht, gibt es keine Rechtfertigung. Sie ist feige und in ihrer alttestamentarischen Logik nur eines: verschärfend. Sie zeigt aber: Der “Blick” ist verwundbar.

Die Verhöhnung des in Rom Schwerverletzten als “Petarden-Trottel”, das Aufsuchen seiner Mitbewohner am Wohnort, die Bilder des Betroffenen, die Nennung seines Vornamens und seines Wohnortes, was einer Veröffentlichung all seiner privaten Daten gleich kommt, die Verhöhnung des Vaters, der als Schulpsychologe ja wohl bei der Erziehung seines Sohnes versagt hat, und der Mutter, die sich der Konfrontation mit dem “Blick” entziehen will: All das hat innert Tagen zu einem Sturm der Entrüstung in zahlreichen Fan-Foren (nicht nur des FCZ) geführt und mehrere differenzierte Artikel in Blogs und Online-Medien nach sich gezogen. Das stellt das Ringier-Blatt vor Probleme, die es mit seiner Tamilen-Hetze in den 80er Jahren noch nicht hatte und mit denen es in dieser Form wohl auch nicht gerechnet hat. Entsprechend naiv äussert sich der Ringier-Sprecher, der von der Petarden-Geschichte ernsthaft als “harte, aber faire Berichterstattung” spricht und damit sagen will, die Verleumdungsaktion in Zürich käme völlig aus dem Nichts.

Wer auch immer hinter der Aktion steckt: Der “Blick” ist hier in den Augen vieler zu weit gegangen. Unter diesen vielen sind wiederum viele sehr gut organisiert. Einige haben nun demonstriert, dass sie zurückschlagen können, wenn sie wollen, und dass sie dies ohne Rücksicht auf Verluste tun.

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10 Responses to Narrenzeit

  1. seenia says:

    mich würde es ja interessieren, wer hinter diese anonymen kampagne steckt. ob das wirklich fcz fans sind? glaube ich, in der jetztigen situation mit meinem jetztigen wissen, nämlich nicht.

  2. admin says:

    Mich interessiert es gar nicht mal so sehr, Seenia. Ich finde den Vorgang an sich interessant. Klar ist, dass der “Blick” mit der Petarden-Kampagne nicht nur FCZ-Fans gegen sich aufgebracht hat und auch nicht nur Fans. Aber Spekulationen sind müssig.

  3. CeeJay says:

    an sich gute aktion, wobei in meinen augen immernoch der grundsatz gilt, dass man gleiches nicht mit gleichem bestrafen sollte. zudem können in diesem fall die familien der journis genausowenig dafür wie die familie des petarden-opfers.
    nichtsdestotrotz: gut, dass denen mal etwas gegenwind entgegenbläst! einfach mal zum aufzeigen, dass auch die andere seite was kann. denn in meinen augen gehen dioe journis in diversen punkten und stories definitiv zu weit. würde mich nicht verwundern wenn so einer mal eins kassiert auf der strasse.

  4. Kummerbube says:

    Gerne würde ich zur beginnenden Narrenzeit auch noch ein sehr interessantes Mitglied der Narrenzunft besprochen wissen. Ancillo Canepa. Der FCZ Präsident erklärt, dass sein Wunschergebnis der “Derby-Verhandlung” ein Forfaitsieg des FCZ sei. Soll mir das doch bitte jemand erklären, bitte, bitte!

  5. Pingback: Ringier und andere Gewaltbereite : Nation of Swine

  6. TomTom says:

    Ich kenne die Mechanismen dieses Moralinsauren Journalismus und durfte miterleben, wie es ist, wenn einem etwas auf ganz perfide Art und Weise unterstellt wird und was für eine Dynamik das Ganze dann kriegt. Als Otto Normalo ist man ziemlich machtlos, weil die “grossen Buchstaben” der Zeitung ein grosses Gewicht haben. Das sie mit dieser Kampagne zu weit gegangen sind, gegenüber einem Menschen, der alleine durch seine Verletzung ein Leben lang an diesen fatalen Fehler und an diese Dummheit erinnert werden wird. Die nachträgliche Demontage durch den Blick ist aber mindest ebenso dumm und kurzsichtig.

  7. TomTom says:

    Als Otto Normalo ist man ziemlich machtlos, weil die “grossen Buchstaben” der Zeitung ein grosses Gewicht haben. Das sie mit dieser Kampagne zu weit gegangen sind, gegenüber einem Menschen, der alleine durch seine Verletzung ein Leben lang an diesen fatalen Fehler und an diese Dummheit erinnert werden wird, liegt auf der Hand.

  8. Fan says:

    Finde diesen Artikel zum Thema sehr treffend:

    http://www.sonntagonline.ch/blog/425/

    Der Sonntag – Christof Moser

    Der Fisch stinkt vom Kopf her

    Ein FCZ-Fan sprengt sich an einem Auswärtsspiel in Rom mit einer Petarde drei Finger weg. Der «Blick» verhöhnt ihn als «Petarden-Trottel», zeigt sein Bild, nennt seinen Vornamen – und setzt damit eine Spirale der Selbstjustiz in Gang, die inzwischen ausser Kontrolle geraten ist. Die Boulevard-Macher, die den Fussball lieben, gegen die Fussball-Fans, die den Boulevard hassen. Ein Trauerspiel.

    Nein, es gibt keine Rechtfertigung dafür, Journalisten per SMS Morddrohungen zu schicken, Plakate aufzuhängen mit ihren Fotos, Namen und Telefonnummern und ihre Ehefrauen und Kinder mit toten Fischen in den Briefkästen zu verängstigen. Ebenso wenig gibt es eine Rechtfertigung dafür, den Petarden-Zünder anzuprangern, seinen Arbeitgeber anzurufen, sein Haus zu zeigen, seine Eltern zu belästigen, ihre Namen, ihren Beruf, ihre Automarke zu nennen.
    Jetzt werden die Hetzer gehetzt. Und die reagieren mit Heuchelei darauf.
    «Wir lieben den Fussball und verachten Gewalt», rechtfertigt «Blick»-Chef Ralph Grosse-Bley die Hetzkampagne seines Blatts. Wie schrieb Heinrich Böll einst in seinem Buch «Die verlorene Ehre der Katharina Blum», das von den Praktiken der Boulevardpresse handelt? «Die Gewalt von Worten kann schlimmer sein als die von Ohrfeigen und Pistolen.» Die Journalismus-Trottel machen den Journalismus genauso kaputt wie die Petarden-Trottel den Fussball: mit Gewalt.

    Ja, der Fisch stinkt vom Kopf her. Der «Blick»-Sportchef verkündete öffentlich, die Pyro-Täter an den Pranger zu stellen sei Aufgabe der Medien, weil der Rechtsstaat nicht mehr funktioniere. Und jetzt muss der «Blick», der die Selbstjustiz ausgerufen hat, die Polizei einschalten. Das ist etwa so, als würden Einbrecher Begleitschutz von der Securitas verlangen, weil sie Angst haben im Dunkeln. Machen wir kurzen Prozess: Der deutsche Boulevard ist in der Schweiz gescheitert.

  9. admin says:

    Ja, Fan, der Kommentar gefällt mir auch, wenn er sich auch wesentlich aus Blog-Einträgen der letzten Tage zusammensetzt (s. vor allem http://www.nationofswine.ch), die er ruhig nennen könnte.

  10. Pingback: Petarden-Trottel: Der Stammhirn-Journalismus im „Blick“ | Feldstechers Blog

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