Was darf der Fan?

Drei verschiedene Medien befassten sich in den letzten Tagen auf unterschiedliche Weise mit der Frage, wie viel Einfluss den Fans in einem Fussballverein zugestanden werden soll. Im Steilplass-Blog des Tages-Anzeigers lobt Annette Fetscherin den FC Luzern für seinen integrativen Umgang mit der Anhängerschaft im Zusammenhang mit der Eröffnung des neuen Stadions und fragt, unter Beizug des Beispiels HSV mit seinem mächtigen Supporters Club, wie viel Fan-Mitsprache ein Verein verträgt. Zwar kratzt Fetscherin noch an der Oberfläche, und die Blumen für Walter Stierli dürften manchen aus der Luzerner Fangemeinde in Erstaunen versetzen, doch dass der Steilpass sich überhaupt des Themas annimmt, ist erfreulich. Und nicht jeder Kommentar zu Fetscherins Beitrag dumm.

In der NZZ schreibt Stefan Osterhaus halb belustigt, halb empört über die “Benimmregeln”, die die Ultras der “Schickeria München” ihrem neuen und alles andere als erwünschten Torhüter Neuer unterbreitet haben. Das Verhalten der Fans wird dabei als anmassend empfunden, was ein (unglücklicher) Vergleich mit der Chefetage eines Autokonzerns illustrieren soll. Tatsächlich ist ein Schmunzeln kaum zu unterdrücken, wenn wir erfahren, dass die Schickeria Manuel Neuer u.a. das Anstimmen des berüchtigten “Humba-Tätärä” (im Original übrigens von Ernst Neger, das aber nur nebenbei) verbietet, laut Osterhaus “eines der gehaltvollsten musikalischen Kleinode der deutschen Fan-Szene”. Der Tenor in der NZZ ist klar: Solches Gebaren ist kaum zu fassen, doch im Fussball ist eben alles möglich. Interessant vielleicht, was Dietrich Schulze-Marmeling, Autor des Werks “Der FC Bayern und seine Juden“, zu Münchens Ultras zu sagen hat: “Ich habe meine Probleme mit der Ultra-Kultur, aber dass sich der FC Bayern heute wieder zu seiner jüdischen Geschichte (…) bekennt, ist auch das Verdienst der Schickeria.” (in: ballesterer Nr. 63)

Der ballesterer wiederum fächert wie immer am breitesten. Jakob Rosenbergs mehrseitige Aufarbeitung des Platzsturms beim letzten Wiener Derby der Saison 10/11 ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie ein Sportmedium mit Fan-Themen umgehen kann, wenn es den Protagonisten auf Augenhöhe, unvoreingenommen und informiert begegnet. Der Text “Das gibt’s nur bei Rapid” versammelt alles, was heute die Fan-, Ultra- und Gewaltdiskussion prägt, Erhellendes und Widersprüchliches von allen Seiten. So wird ein Exponent der Ultras Rapid zitiert (namentlich!), der den Platzsturm zu erklären versucht: “Wir haben ja schon länger Protestspruchbänder gemacht, 15 Minuten nicht gesungen und so weiter, aber das hat anscheinend niemanden interessiert.” Hier kommt ein Weltbild zur Geltung, das sich auf den Rängen einer zunehmenden Verbreitung zu erfreuen scheint: Der Glaube, sportlicher Erfolg lasse sich durch Dauergesang herbei schreien, und die Idee, bei Nicht-Gelingen sei Strafe angebracht. Wer solches liest, kommt wie Osterhaus in der NZZ zum Schluss, hier habe sich das Selbstverständnis der organisierten Fans in eine ungute, unangenehme Richtung verschoben.

Unter dem Strich bleibt die erfreuliche Erkenntnis, dass Fan-Themen heute nicht nur den Weg in die Blätter finden, sondern auch zunehmend differenziert behandelt werden. Davon dürften am Ende alle profitieren. Auch wenn die Schickeria ihr Humba-Tätärä vielleicht für eine Weile einstellen muss.

 

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