“Unschöne Lärm- und Pfeifkonzerte”

Leser Michael v. L. erfreut uns mit der Zusendung eines wissenschaftlichen Kommentars zum aktuellsten Kapitel Zürcher Stadiongeschichte. Hier ist, was er schreibt:

Das Aufbegehren der Altstettner Kleingärtner gegen ein geplantes Eishockey- und dereinst vielleicht auch Fussballstadion in Zürich ist die jüngste Episode eines jahrzehntelangen Ringens. Das zeigt ein Blick in das Archiv des Vereins für Familiengärten Zürich. 1936 beklagt sich der Verein im Jahresbericht, die Bevölkerung wisse alles über sämtliche Fussball- und Athleten-Klubs, während der Verein unbekannt sei. Deshalb müsse man hinten anstehen, wenn es um die Landvergabe gehe. Dabei sei doch da «Resultat» «im Wert ein rein Theoretisches». «Und wir? F ü r u n s sollte doch das p r a k t i s c h e Resultat sprechen: Über eine Million Produktionswert, praktische Landesverteidigung, Gesundheitsförderung, Zusammenarbeit in der Familie, beste Ausnützung der Freizeit, Erziehung zur Bodenständigkeit, Entvölkerung der Strasse von Kindern, Arbeitslosen, Bummlern. Bei uns über 5000 M i t w i r k e n d e, ohne Zuschauer, dort eine kleine Gruppe Tätiger mit einer Masse Bewunderer und Kritiker. Sicher kommt die Zeit, da auch unsere Arbeit die richtige Würdigung findet. Lassen wir uns nicht entmutigen.»

SchrebergartenDie Kleingärten sind aus einer Bewegung um die Wende zum 20. Jahrhundert hervorgegangen – zu einer Zeit, als das Schlagwort „zurück zur Natur“ ein erstes Mal geprägt wurde, gut 70 Jahre vor der Öko-Bewegung. Die Gärten wurden von wohlmeinenden Bürgern für die Arbeiterschaft eingerichtet. Diese sollte, nicht zuletzt durch ein strenges Regelwerk, dem bürgerlichen Ideal entsprechend geformt werden. Der Garten sollte ein Gegengewicht sein gegen allerlei Auswüchse der modernen Stadt – von der „ungesunden“ Wohnung bis zum „ungesunden“ Freizeitverhalten. Der Fussball wurde Letzerem zugerechnet. Noch in den 50er-Jahren hebt der Verein die «die volkshygienische und ethische Bedeutung unserer Kleingärten» hervor und schreibt: «Der Familiengarten ist in erster Linie der Gesundbrunnen für die in Fabriken, Bureaus und Werkstätten tätige und in Mietskasernen wohnhafte Bevölkerung. (…) So wagen wir denn die kühne Behauptung aufzustellen, die Erstellung von Kleingärten sei für die Volksgesundheit und die vernünftige Ausfüllung der Freizeit ebenso notwendig und wichtig wie die Schaffung von Sport- und Spielanlagen.» Das Lamento schliesst mit dem schönen Satz, die Gärten fügten sich mindestens so gut ins Stadtbild ein wie «eine Fussballtribüne oder mannshohe Bretterwände, hinter denen junge und alte Sportfanatiker ihre unschönen Lärm- und Pfeifkonzerte abzuhalten pflegen!» Damals gabs halt den Südkurven-Chor noch nicht.

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