Ein Stück Stadtkultur

Die Kulanz des Hier+Jetzt-Verlages macht es möglich, dem blossen Hinweis auf das eben erschienene Hardturm-Buch nun auch eine kurze inhaltliche Würdigung folgen zu lassen. Man hält mit den “Erinnerungen an ein aussergewöhnliches Stadion”, wie es im Untertitel heisst, ein schönes Werk in den Händen. Die Fotosammlung des GC-Fans Jens Fischer bildet die Grundlage der Publikation, und es wird an vielen Stellen deutlich, dass hier weniger der Profi mit dem Sinn für Kompositionen und als Moment erfassten Geschichten als eben der Anhänger mit dem Auge fürs Detail an der Arbeit war. Seine Heimat waren zweifelsohne die Stehplätze im Heimsektor, Aufnahmen der Haupt- oder Gästetribüne während eines Spiels fehlen. Das ist zwar bedauerlich, aber verständlich bei einer Publikation, die weniger auf einem Konzept als auf dem Fundus eines “Archivars” basiert.

155_0_umschlag_gross“Der Hardturm” ist ein unverzichtbares Erinnerungsstück für alle, die in diesem Stadion eine Heimat gefunden hatten. Er versetzt aber mit Sicherheit auch jene in Rührseligkeit, die jahrelang skandierend drohten, das Stadion dereinst anzuzünden. Denn so sehr der Hardturm bei Gästefans als verhasste und schwer einzunehmende Festung galt, so deutlich wurde nach seiner Schliessung, welch grosse Lücke in der Stadionlandschaft er hinterlässt. In einem der 20 kurzen Textbeiträge schildert der Autor denn auch prägnant, welche Chance mit dem Abriss vertan wurde. Die alte Haupttribüne zeitgemäss ersetzen, und viele Diskussionen um Euro, Quartierverträglichkeit und Urbanität wären hinfällig geworden.

Nicht immer reicht die Kürze der Texte für so viel Klarheit. So wird die temporäre Besetzung des Hardturm im Sommer 2008 auf irritierende Weise verurteilt und implizit für den späteren Abriss verantwortlich gemacht. Hier hat man offiziellen Verlautbarungen zu sehr Glauben geschenkt: Ob mit oder ohne “Brotäktschen”, wie die Besetzung damals hiess, eine Sanierung des alten Stadions stand nie ernsthaft zur Debatte. Man müsste sich vielmehr glücklich schätzen, atmete der Hardturm vor seinem Ende noch einmal etwas Leben.

Spieltage in Zürich-West waren immer etwas Besonderes, die Erinnerungen an Fantrauben vor dem Restaurant “Stadion” und nach dessen Abbruch vor dem “Hobo”, an die Ansammlungen der Gästefans vor dem “Herdern”, das kurz nach der Stadionschliessung aus lauter Wehmut explodierte – sie sind wach und schmerzen zuweilen. Dass die Grundmauern heute einer reichen Stadtflora Boden bieten, ist ein kleiner Trost. Genau wie das Buch selber. Ein kleiner Trost, der seinen Preis allemal wert ist.

Jens Fischer: Der Hardturm. Erinnerungen an ein aussergewöhnliches Stadion. Hier+Jetzt, Baden 2009. 38 Sfr

This entry was posted in Bücher, Fotos, GC. Bookmark the permalink.

One Response to Ein Stück Stadtkultur

  1. Kummerbube says:

    Oh ja, die Spieltage waren wirklich besonders. Und hätt ich geahnt wie sehr sie mir fehlen würden, so hätt ich sie mehr zelebriert – sie ausgekostet. Ich träume nochmals von den Anfängen um Raimondo, Berbig, In-Albon, den bitteren Momenten; im Schneegestöber bei gefühleten minus 3 Grad gegen Bulle, 8:0 gewonnen mit Leo an der Seite, totgesagt und geschrieben, auferstanden und die Sterne zweimal leuchten lassen, gopfertammi mir kommen die Tränen.

    Und nun muss ich mich zum Derby peitschen, raus aus dem Sessel ins kalte Kommerzloch hinter den ungeliebten Gleisen, und der Sieg mag nichtmal mehr recht schmecken…

    Vielen Dank für dieses Buch. Diese Zeit ist verloren, für immer. Aber bewusst wird mir dafür: es bedeutete mir die Welt, dort unten an der Limmat.

Comments are closed.