“In the fuckin’ man!”

Am Bahnhof kaufe ich mir eine kühle Flasche Chodovar, eines meiner Lieblingsbiere. Weil ich nicht zuletzt deswegen Gefahr laufe, eine zu gute Laune mit mir herumzutragen, dämpfe ich die Euphorie mit dem Kauf der aktuellen Weltwoche. Die Titelgeschichte über frustrierte Lehrer beginnt mit einem abschreckenden Beispiel aus Biel: “In der Realklasse 9a im Oberstufenzentrum Madretsch herrschen seit Jahren chaotische Zustände.” Wie lange bleibt eine durchschnittliche Bieler Klasse wohl im 9. Jahr? Ziemlich lange, offenbar.

Dann steig ich in Luzern aus und um auf die ZB nach Kriens Mattenhof. Am Perron bestaune ich die neue Kampagne von bluewin tv. Sie wirbt für Live-Fussball, und zwar so: Julio Hernan Rossi im Dress von Xamax jubelt auf der Leinwand, zwei Männer auf der Couch (man sieht sie von hinten) jubeln ihm zu. Darunter steht: “Stefan und Philipp, Bern, 20.17 Uhr” Das habe ich nicht gewusst. Also dass Xamax in Bern so beliebt ist. Gut, es gibt vielleicht 2-3 Exilneuenburger. Aber die heissen eher nicht Stefan und Philipp. Die Botschaft von bluewin tv ist also: Wenn du männlich bist, in Bern wohnst und Xamax unterstützt, solltest du ein bluewin-tv-Abo kaufen. Ob die Zielgruppe jetzt sehr gross ist, kann ich nicht sagen. 

Auf der Allmend kauf ich ein Billett für den Gästesektor. Dort, beim Eingang, sind eben die letzten Busse aus dem Wallis angekommen. Es steigen und fallen Menschen aus den Karossen, die mit jeder Faser ihres Körpers veranschaulichen, in welche Abgründe eine dreistündige Busreise den menschlichen Organismus zu reissen vermag. Unfairerweise ist der Gästesektor in Luzern für Menschen mit reduziertem Gleichgewichtssinn der gefährlichste Ort überhaupt, besteht er doch zu grossen Teilen aus einer schräg abfallenden, geteerten Fläche, die nirgends Halt bietet. Männer in rot-weissen Textilien verteidigen verbissen ihre persönliche Vertikale, indem sie Schwankungen mit dem Gewicht einer Wurst in der einen und jenem eines Bieres in der andern Hand auszugleichen versuchen. Es macht sich rundherum eine grosse Heiterkeit breit.

Kurz vor Anpfiff ertönt “We will rock you” aus den Boxen. Mein Unterwalliser Nebenmann ist wie elektrisiert. Er singt laut mit: “Cas in the pace, livin the nace, bady i canner and in the fuckin’ man – We will we will rock you!” Dann ziehen die Luzerner ihre Choreografie hoch. “Mais c’est mille fois meilleur que le Kop Nord”, sagt mein Nebenmann zu seinem Kumpel. Überhaupt, die Luzerner: Die haben einen ausgezeichneten Sinn für Melodie und Rhythmus. Selten werden Gesänge so rein vorgetragen, selten bleibt eine Kurve so sicher im Takt wie auf der Allmend. Meine Theorie: die Fasnacht. Die beste Schule für Kollektivgesang.

In der zweiten Halbzeit treffe ich vier Bekannte. Sie haben kein Ticket für den Heimsektor mehr gekriegt. Mit offiziellen und weniger offiziellen Rauschmitteln verschaffen sie sich jenen Ruhepuls, der nötig ist, um nicht plötzlich unbedacht zu jubeln bei Luzerner Treffern. Es gelingt ihnen vorzüglich. Mit dem Schlusspfiff nach 90 Minuten spüre ich ein plötzliches Absacken meines körperlichen Salzgehalts auf ein gefährlich tiefes Niveau. Und so tue ich, was ich die vielen hundert Male zuvor im Stadion noch nie getan habe: Ich esse eine zweite Wurst. Einen zweiten Schüblig. Es sollte mir nicht gut bekommen.

Die Penaltyentscheidung sehe ich vom Sockel des Flutlichtmastens aus, die Bekannten reichen mir netterweise ein letztes Getränk hoch. Danach kippen jubelnde Walliser über den Zaun zu ihren Spielern. Einige werden frivol und rennen Richtung Heimkurve, um den Sieg noch etwas fieser auszukosten. Das reicht dann aber einem kleinen Bataillon Blau-weisser. Vorschriftsgemäss vermummen sie sich und rennen den Wallisern entgegen. All das unter teilnahmsloser Beobachtung der Securitas, die unterdessen den Spielerausgang bewacht. Nach ein paar Tritten und Flätteren ist die Sache gelaufen, der letzte Walliser weggeschickt und das Territorium verteidigt. Dann kommt doch noch die Securitas. Sie hatte so lange gebraucht, weil sie sich erst noch neongelbe Signalwesten besorgen musste.

Draussen bleibt es ruhig. Am schönsten Wasserwerfer der Schweiz vorbei besteige ich den Bus. Dann den Zug. Ich bin froh, hab ich die Allmend noch einmal lebend gesehen.

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5 Responses to “In the fuckin’ man!”

  1. Mauri says:

    Danke Zlaty Basant für den Erlebnisbericht, der auch als schöner Abgesang der Allemend stehen kann.

    Ach ja: Entschuldigung für die flache Bauweise der Auswärtskurve, aber der Stimmung hats ja – zumindest zu Spielende – keinen Abbruch getan 😉

  2. n. says:

    Schöner Bericht. Nur, was hat es mit der merkwürdigen Anreiseroute via Kriens auf sich?

  3. Zlaty Basant says:

    Kriens Mattenhof, relativ neue Haltestelle der Zentralbahn, 5 Gehminuten von der Allmend. Etwas weniger mühselig als der überfüllte Bus.

  4. Mauri says:

    Ich freu mich ja auf die unterirdische Allmend-Haltestelle der LSE (sic!). Dann beim neuen Stadion… irgendwann… (oder war das nur mal ein Projekt, das unterdessen fallen gelassen wurde?)

  5. theo says:

    Hmm, diese Reaktion passt jetzt nicht ganz ins oben gezeichnete Bild. Im Zweifelsfall glaube ich aber dem Berichterstatter des Blogs meines Vertrauens.

    In diesem Zusammenhang folgende Fragen:
    Darf ein Alkoholverbot in einem Stadion nur für einen bestimmen Sektor ausgesprochen werden?
    Hat jemand schon mitbekommen, dass Zuschauer, weil sie zu alkoholisiert waren, nicht ins Stadion gelassen wurden?

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